Betreff
Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 108 (Erweiterung Flussviertel)
Abweichung von den gestalterischen Vorschriften des Bebauungsplanes
Errichtung von zwei Zweifamilienhäusern unter Überschreitung der festgesetzten Traufhöhe und mit abweichender Dachform
Vorlage
421/2015
Aktenzeichen
480/15
Art
Vorlage

Beschlussvorschlag:

 

Die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 108 der Stadt Geilenkirchen wird hinsichtlich der Überschreitung der Traufhöhe antragsgemäß erteilt.

Der Abweichung von der örtlichen Bauvorschrift hinsichtlich der Dachneigung wird antragsgemäß zugestimmt.


Sachverhalt:

 

 

Die Antragsteller beabsichtigen, im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 108 (Erweiterung Flussviertel) am Ende der Hünshovener Gracht zwei Zweifamilienhäuser zu errichten. Die Häuser sollen in Staffelgeschoss-Bauweise errichtet werden.

 

Das Vorhaben überschreitet Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 108, und zwar wird die festgesetzte Traufhöhe von 95,5 m über NHN um 2,00 m überschritten. Um die Planung zu realisieren, benötigen die Bauherren eine Befreiung von der Festsetzung der Traufhöhe. Die Traufhöhe ist bei dem geplanten Bauvorhaben gleich der Firsthöhe, da das obere Geschoss als Staffelgeschoss mit einem Flachdach geplant ist. Insoweit wäre die Erteilung einer Abweichung von den gestalterischen Vorschriften des Bebauungsplanes erforderlich, da dieser grundsätzlich geneigte Dächer vorsieht.

 

Die im Bebauungsplan vorgesehene Ausnahme, die die Errichtung von Toskana-Stil-Häusern ermöglichen sollte, ist vorliegend nicht anwendbar, da die Traufhöhe um 2,0 m überschritten wird, aber zwei statt nur einer Wohnung pro Gebäude vorgesehen sind.

 

Somit ist der Bauantrag so zu deuten, dass eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplanes über die Traufhöhe und eine Abweichung gem. § 73 Abs. 2 BauO NRW von den Vorschriften über die Dachgestaltung beantragt wird.

 

Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplanes befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplanes zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

 

Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt, insbesondere sind die Grundzüge der Planung nicht berührt und die städtebauliche Vertretbarkeit ist gegeben.

 

Befreiungen dürfen nicht in einer Weise von den Festsetzungen abweichen, dass dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden. Es scheiden im allgemeinen Abweichungen von Festsetzungen aus, die die Grundkonzeption des Bebauungsplans berühren, also vor allem den Gebietscharakter nach der Art der baulichen Nutzung und – in bestimmter Weise – auch nach dem Maß der baulichen Nutzung sowie den Festsetzungen zur Baudichte (Bauweise, überbaubare Grundstücksfläche). Befreiungen können aus diesen Gründen nur in Betracht kommen, wenn durch sie von Festsetzungen abgewichen werden soll, die das jeweilige Planungskonzept nicht tragen, oder wenn die Abweichung von Festsetzungen, die für die Grundzüge der Planung maßgeblich sind, nicht ins Gewicht fallen, d.h. ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft.

 

Die Dachhöhe beträgt 97,50 m über NHN. Traufhöhe ist hier gleich Firsthöhe, da es sich um ein Flachdach handelt. Die maximale Traufhöhe (95,5 m über NHN) ist somit um 2,00 m überschritten, wohingegen die maximale Firsthöhe (100,0 m über NHN) deutlich unterschritten wird. Da sich das Befreiungs- bzw. Abweichungserfordernis aus der Gestaltung des Vorhabens insgesamt ergibt, ist eine getrennte Betrachtung kaum möglich. Die gestalterische Vorschrift über die Dachneigung wird von dem Bauvorhaben nicht eingehalten. Die übrigen Festsetzungen sind eingehalten.

 

Die Grundzüge der Planung sind nicht berührt. Plankonzeption war, durch Erweiterung des bestehenden Flussviertels, ein aufgelockertes Wohnbaugebiet mit hoher Wohnqualität und attraktiven Baugrundstücken für junge Familien mit unterschiedlichen Wohnbedürfnissen zu schaffen.

 

Dadurch, dass bei dem Vorhaben Trauf- und Firsthöhe quasi zusammen fallen, wirkt die Überschreitung der festgesetzten Traufhöhe optisch nicht bedrückend. Insgesamt wirkt das Gebäude sogar kleiner, als wenn mit einem schräg geneigten Dach die maximale Firsthöhe ausgeschöpft worden wäre.

 

Die im Bebauungsplan enthaltene Ausnahmeregelung ist zwar vorliegend nicht anwendbar, aus ihr kann jedoch hergeleitet werden, dass die Errichtung von Häusern mit flach geneigten Dächern nicht unerwünscht ist im Baugebiet.

 

Daher ist die Überschreitung auch städtebaulich vertretbar, da sie in ähnlicher Form auch Inhalt der Planung hätte sein können, ohne die harmonische Struktur des Baugebietes oder die Absichten des Plangebers nachteilig zu beeinflussen.

 

Ob eine Abweichung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB städtebaulich vertretbar ist, ist nämlich anhand der konkreten Gegebenheiten danach zu beurteilen, ob die Abweichung unter Beachtung des § 1 BauGB auch Inhalt des Bebauungsplans sein könnte, von dessen Festsetzungen im Einzelnen abgewichen werden soll. Dies ist vorliegend zu bejahen.

 

Die Befreiung wäre auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Nachbarliche Interessen, die nachteilig beeinträchtigt werden könnten, sind nicht ersichtlich, nachbarschützende Festsetzungen sind weder betroffen noch überhaupt vorhanden. Ein überzeugendes Anzeichen dafür, dass keine nachbarlichen Interessen beeinträchtigt werden ist, dass es keinen Konflikt mit dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht gibt, da die Abstandsflächen nach wie vor auf dem eigenen Grundstück liegen würden.

 

Zu den öffentlichen Belangen gehören die in § 1 Abs. 6 BauGB bezeichneten, bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu beachtenden Belange sowie alle im Zusammenhang mit den städtebaurechtlichen Anforderungen an die Bauleitplanung heranzuziehenden Belange. Entscheidend ist ihr städtebaulicher oder bodenrechtlicher Bezug. Relevant sind insbesondere diejenigen öffentlichen Belange, die bei den Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen abgewichen werden soll, im Sinne des § 1 BauGB abwägungsbeachtlich gewesen sind sowie solche öffentlichen Belange, die durch die Befreiung mit Auswirkungen auf die dem Bebauungsplan zugrunde liegenden Abwägung erstmals berührt werden. Die Unvereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen kann danach gegeben sein, wenn die mit dem Bebauungsplan verfolgten Ziele und Zwecke und insbesondere der mit seinen Festsetzungen geschaffene Ausgleich an Belangen, das sog. Interessengeflecht der Planung, berührt wird. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Keiner der in § 1 BauGB genannten Belange wird durch die Erteilung der Befreiung negativ berührt.

 

Relevante öffentliche Belange könnten sein die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung nach einem ruhigen, ansprechenden Wohngebiet und das Ortsbild. Beides wird vorliegend durch die erstrebte Befreiung nicht beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt somit nicht vor.

 

Die Befreiung steht auch nicht im Widerspruch zu anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

 

Die örtliche Bauvorschrift über die Dachgestaltung (Dachneigung) wurde nach § 86 Abs. 4 BauO NRW seinerzeit als Festsetzung in den Bebauungsplan aufgenommen. Im vorliegenden Fall soll die geplante Unterschreitung der Dachneigung erfolgen, um die Errichtung des oberen Geschosses als Staffelgeschosses zu ermöglichen.

 

Die Entscheidung über die Abweichung von örtlichen Bauvorschriften trifft der Bürgermeister als Untere Bauaufsichtsbehörde. Da die Dachneigung vorliegend in engem Zusammenhang mit der Überschreitung der Traufhöhe steht, können diese beiden Punkte nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung von den örtlichen Bauvorschriften liegen vor.

 

Die Genehmigungsbehörde kann gemäß § 73 Abs. 1 BauO NRW Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.

 

Öffentliche Belange sind, wie oben ausgeführt, nicht berührt, und auch die nachbarlichen Interessen sind nicht nachteilig beeinflusst. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift, nämlich der Erreichung einer harmonischen Dachlandschaft, unter weiterer Berücksichtigung der bereits bestehenden Ausnahmemöglichkeiten, steht aus Sicht der Verwaltung einer Abweichung von der Dachform nichts entgegen.