Beschlussvorschlag:
Der Rat der Stadt Geilenkirchen beschließt, von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 24 "Am Strippenweg" (Gillrath) hinsichtlich des Vortretens aus dem Baufenster und hinsichtlich der Überschreitung der zwingend festgesetzten Geschossigkeit zu befreien.
1. Sachverhaltsdarstellung
Die Antragsteller begehren die Erteilung
eines Vorbescheids für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses (Stadtvilla) mit
2 Garagen auf dem Grundstück Gemarkung Geilenkirchen, Flur 30, Flurstück 67,
Strippenweg 3, 52511 Geilenkirchen, in Bezug auf die nachstehenden Fragen.
Fragen zum Bauvorhaben:
1.
Kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich
a) des Vortretens des
vorliegenden Bauvorhabens aus dem Baufenster und
b) der Überschreitung der
im Bebauungsplan festgesetzten Geschossigkeit
gem. § 31 Abs. 2 BauGB befreit werden?
2.
Können Abweichungen i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 von den
örtlichen Bauvorschriften im Hinblick auf
a) die festgesetzte
Dachform und
b) die Dachneigung
zugelassen werden?
Das Bauvorhaben befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 24 „Am Strippenweg“ (Gillrath) der Stadt Geilenkirchen.
2. Befreiungen
2.1 Zu Frage 1. a): Vortreten aus dem Baufenster
Der maßgebliche Bebauungsplan setzt auf dem Grundstück des Bauvorhabens ein Baufenster, bestehend aus Baulinien zur Straße hin und zur nordöstlichen Grundstücksgrenze sowie Baugrenzen hin zu den südöstlichen und südwestlichen Grundstücksgrenzen, fest (siehe Auszug aus dem Bebauungsplan).
Das Bauvorhaben der Antragsteller soll nicht auf der Baulinie stehen und aus dem Baufenster, entsprechend der Darstellungen im beigefügten Lageplan, hervorrücken. Das Vorhaben verstößt somit grundsätzlich gegen die Festsetzung des Bebauungsplans.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen
des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt
werden und
1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur
Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern
oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht
beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung
nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Grundzüge der Planung
Der Leitgedanke des Planers, einzelne und
unterschiedlich große Baufenster, die mal mehr, mal weniger von der Straße
zurückspringen, ist angesichts des städtebaulichen Bildes und heutiger
Planungen nicht nachvollziehbar. Eine schlüssige Begründung für diese Anordnung
ist nicht vorhanden. Weshalb vorliegend Baulinien für unterschiedlich tiefe
Gebäudevorderkanten festgesetzt wurden, ist ebenfalls nicht verständlich.
Möglicherweise wollte man seinerzeit eine verspielte Auflockerung des
Baugebietes in Richtung freie Feldflur erreichen.
Auch im Hinblick auf die bereits vorhandene
Bebauung würde die Einhaltung des Baufensters wenig Sinn machen. Betrachtet man
die, bereits vor Aufstellung des maßgeblichen Bebauungsplans, vorhandene
Bebauung, so ist nahezu ausgeschlossen, dass diese jemals die Festsetzung des
Bebauungsplans einhalten wird. Zum Teil ist allerdings auch anzumerken, dass
auch Bebauungen, die nach Aufstellung des B-Plans errichtet wurden, die
Festsetzung über das Baufenster und vor allem die Baulinie nicht einhalten.
Die Grundzüge der Planung werden deshalb
nicht berührt.
Städtebauliche
Vertretbarkeit:
Eine Beeinträchtigung städtebaulicher Belange ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere würden die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse nicht berührt, die Gestaltung des Ortsbildes eher verbessert als bei zurückspringender Bebauung. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der örtlichen Erkenntnisse ist das Abweichen vom festgesetzten Baufenster und von der Baulinie städtebaulich vertretbar.
Würdigung
nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen:
Vorliegend sind die Interessen der Nachbarn zu würdigen. Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen ist nicht ersichtlich.
Zwischenergebnis:
Die Voraussetzungen für diese Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 24 liegen vor. Von dem festgesetzten Baufenster kann befreit werden.
2.2 Zu Frage 1. b): Überschreitung der
Geschossigkeit
Der maßgebliche Bebauungsplan setzt für den Bereich des geplanten Bauvorhabens eine Anzahl der Vollgeschosse von zwingend einem Geschoss fest. Die Antragsteller planen den Bau eines zweigeschossigen Wohngebäudes, sodass vorliegend grundsätzlich gegen diese Festsetzung verstoßen wird.
Von der Festsetzung des Bebauungsplans
könnte nach selbiger Vorschrift, wie bereits oben unter 2.1 aufgeführt, befreit
werden.
Grundzüge der Planung
Gemäß der Begründung zum Bebauungsplan Nr.
24 sollte seinerzeit durch die Aufstellung eine geordnete städtebauliche
Entwicklung gesichert werden. Der maßgebliche Bebauungsplan wurde im Jahre 1968
beschlossen. Zwischenzeitlich hat sich das Baugebiet, das im Bebauungsplan für
den Bereich des Bauvorhabens als Dorfgebiet festgesetzt wurde, tatsächlich und
demnach faktisch zu einem Wohngebiet entwickelt. Darüber hinaus ist es höchst unwahrscheinlich,
wenn nicht sogar unmöglich, dass sich in Zukunft ein land- oder forstwirtschaftlicher
Betrieb hier ansiedelt, zumal das Grundstück und das festgesetzte Baufenster in
der heutigen Zeit hierfür deutlich zu klein sind. Die Fläche von 579 m² ist
gerade im ländlichen Raum, wie das Stadtgebiet Geilenkirchen es ist, für die
Bebauung mit einem freistehenden Einfamilienhaus typisch.
Im Rahmen einer Ortsbesichtigung wurde
festgestellt, dass die Gebäude Karl-Arnold-Straße 139 und Strippenweg 1 in
nächster Nähe zum Grundstück des Bauvorhabens 2-geschossig sind und ein steiles
Walmdach besitzen (siehe beigefügte Fotos). Im weiteren Verlauf des
Strippenwegs steigt darüber hinaus das Gelände in nördlicher Richtung an. Hier
sind Gebäude vorhanden, die faktisch und für den objektiven Betrachter,
aufgrund der Hanglage und der aus der Geländeoberfläche hervorgehobenen
Kellergeschosse, wie 2-geschossige Gebäude wirken.
Im Anbetracht dieser tatsächlichen Gegebenheiten in nächster Nähe zum Grundstück des Bauvorhabens wird durch die zweigeschossige Ausführung des Gebäudes ein deutlich harmonischeres und geordneteres Erscheinungsbild der Gebäude erzeugt (siehe auch Anlage 2 zum Antrag auf Befreiung). Ein Erfordernis für eine zwingende eingeschossige Bebauung ist nicht notwendig. Eine tatsächliche Gegebenheit, die die Notwenigkeit einer solchen Festsetzung begründet, erschließt sich nicht. Die Grundzüge der Planung werden durch die tatsächliche Wirkung und somit durch die prägende Gegend nicht berührt.
Städtebauliche
Vertretbarkeit / Nicht beabsichtigte Härte:
Eine Beeinträchtigung städtebaulicher Belange ist hinsichtlich der zweigeschossigen Ausführung des Gebäudes nicht erkennbar.
Vielmehr werden durch den größeren Raum im
Obergeschoss die Wohnbedürfnisse der antragstellenden Familie berücksichtigt.
Die Familie besteht derzeit aus vier Personen, eine Vergrößerung der Familie
durch ein drittes Kind ist geplant. Ein größerer Wohnraum ist demzufolge nach
erforderlich.
Außerdem würde, durch die bestehenden zum
Teil 2-geschossigen Gebäude in nächster Nähe, die Durchführung des
Bebauungsplans zu einer nicht beabsichtigten Härte, im Hinblick auf die
städtebauliche Gestaltung und das Gesamtbild, führen.
Würdigung
nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen:
Vorliegend sind die Interessen der Nachbarn zu würdigen. Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen ist nicht ersichtlich.
Aus dem B-Plan bzw. der zugehörigen
Begründung geht nicht hervor, dass diese Festsetzung den Grundstückseigentümern
oder einem konkreten Grundstückseigentümer, eine nachbarschützende Wirkung
zuspricht. Die Besonnung, Belichtung und Belüftung der Nachbargebäude sind nach
wie vor gewährleistet; der Sozialabstand ist größer als erforderlich
eingehalten. Zudem fügt sich das Gebäude in die nähere Umgebung ein.
Zwischenergebnis:
Die Voraussetzungen für diese Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 24 liegen vor. Von der festgesetzten Anzahl der Vollgeschosse von zwingend einem Vollgeschoss kann befreit werden.
3. Abweichungen
Über Abweichungen nach § 69 BauO NRW 2018 entscheidet die Untere
Bauaufsichtsbehörde, in diesem Fall die Stadtverwaltung. Um ein umfassendes
Bild zu geben, sind die maßgeblichen Gedanken hierzu nachfolgend in die
Sitzungsvorlage aufgenommen.
3.1 Zu Frage 2. a): Änderung der Dachform
Der maßgebliche Bebauungsplan beinhaltet eine örtliche Bauvorschrift über die Dachform. Danach sind nur Satteldächer zulässig. Das Bauvorhaben soll ein Walmdach erhalten. Es widerspricht somit grundsätzlich dieser örtlichen Bauvorschrift.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 u. 2 BauO NRW 2018 kann
die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen der BauO NRW 2018 und
aufgrund der BauO NRW 2018 erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter
Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der
öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen
Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Absatz 1 und 3 BauO
NRW 2018 vereinbar ist. Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 sind
Abweichungen zuzulassen, wenn sie der Verwirklichung von Vorhaben zur
Einsparung von Wasser oder Energie oder der Schaffung oder Erneuerung von
Wohnraum dienen.
Zweck der
jeweiligen Vorschrift:
Der maßgebliche B-Plan wurde gem. Begründung
zum B-Plan seinerzeit aufgestellt, um – wie bereits oben erwähnt – eine
geordnete städtebauliche Entwicklung zu sichern. Eine konkrete Begründung,
weshalb nur Satteldächer zulässig sind, geht aus den vorliegenden Unterlagen
zum B-Plan und aus dem B-Plan nicht hervor.
Betrachtet man den Einmündungsbereich,
Karl-Arnold-Straße / Strippenweg, und den weiteren Verlauf des Strippenwegs, so
sind Gebäude mit Walmdächern in der Nähe zum Baugrundstück präsent (z.B.
Gebäude Karl-Arnold-Straße 139, Strippenweg 1, 12 u. 12 a, 16; siehe auch
beigefügte Bilder). Auch der vor kurzem errichtete Neubau an der
von-Hardenberg-Straße 7 besitzt kein Satteldach. Aufgrund dieser
Feststellungen, ist die städtebauliche Ordnung bereits beeinträchtigt. Ein
einheitliches Bild mit nur Satteldächern im Plangebiet ist in Zukunft nahezu
ausgeschlossen.
Würdigung der öffentlich-rechtlich
geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen
Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Belange
durch die abweichende Dachform ist nicht ersichtlich. Für den Fall, dass man
entsprechend der Festsetzung ein Satteldach planen würde und die Giebelfläche
in Richtung der angrenzenden Nachbargrundstücke orientieren würde, so würden
die Belange der Nachbarn eher berührt.
Zwischenergebnis:
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Abweichung von der örtlichen Bauvorschrift – hinsichtlich der Dachform - liegen vor. Die Abweichung kann erteilt werden.
3.2 Zu Frage 2. b): Unterschreitung der Dachneigung
Der in Rede stehende Bebauungsplan beinhaltet weiterhin auch eine örtliche Bauvorschrift über die Dachneigung von Gebäuden. In diesem Fall sind ausschließlich Dächer mit einer Dachneigung von 45° - 48° zulässig. Das Wohnhaus der Antragsteller soll nach den zum Antrag beigefügten Bauvorlagen mit einer Dachneigung von 25° errichtet werden. Deshalb liegt grundsätzlich ein Verstoß gegen diese Vorschrift vor.
Eine Abweichung kann nach selbiger Rechtsgrundlage, wie unter 3.1 zitiert, zugelassen werden.
Zweck der
jeweiligen Vorschrift:
Eine konkrete Begründung für den Zweck, eine
Dachneigung von 45° - 48° festzusetzten, ist nicht erkennbar. Im Anbetracht der
vorhandenen Bebauung ist allerdings festzustellen, dass bereits offensichtlich
Gebäude mit geringer Dachneigung bestehen. Die tatsächlichen Verhältnisse haben
sich derart vom Planwillen geändert, dass in Zukunft nicht mehr damit zu
rechnen ist, dass diese Festsetzung im Gebiet durchgesetzt wird.
Würdigung der öffentlich-rechtlich
geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen
Eine Berührung nachbarlicher Belange ist
durch die Errichtung eines Walmdaches mit einer Neigung von 25° nicht gegeben.
Zwischenergebnis:
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Abweichung von der örtlichen Bauvorschrift - hinsichtlich der Dachneigung - liegen vor. Die Abweichung kann erteilt werden.
4. Gesamtergebnis
Die Voraussetzungen für die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 24 hinsichtlich des Vortretens des vorliegenden Bauvorhabens aus dem Baufenster und der Überschreitung der im Bebauungsplan zwingend festgesetzten Geschossigkeit liegen vor. Ebenso liegen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Abweichungen von den örtlichen Bauvorschriften im Hinblick auf die Änderung der Dachform und die Unterschreitung der Dachneigung vor. Von den vorgenannten Festsetzungen kann deshalb befreit werden; die vorgenannten Abweichungen können zugelassen werden.
Anlagen: