Betreff
Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 24 "Am Strippenweg" (Gillrath) hinsichtlich des Vortretens aus dem Baufenster und hinsichtlich der Überschreitung der festgesetzten Geschossigkeit sowie Abweichungen von den örtlichen Bauvorschriften im Bebauungsplan Nr. 24 "Am Strippenweg" (Gillrath) im Hinblick auf die Änderung der Dachform und die Unterschreitung der Dachneigung
Vorlage
1759/2019
Aktenzeichen
446/19
Art
Vorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Rat der Stadt Geilenkirchen beschließt, von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 24 "Am Strippenweg" (Gillrath) hinsichtlich des Vortretens aus dem Baufenster und hinsichtlich der Überschreitung der zwingend festgesetzten Geschossigkeit zu befreien.


1.         Sachverhaltsdarstellung

 

Die Antragsteller begehren die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses (Stadtvilla) mit 2 Garagen auf dem Grundstück Gemarkung Geilenkirchen, Flur 30, Flurstück 67, Strippenweg 3, 52511 Geilenkirchen, in Bezug auf die nachstehenden Fragen.

 

Fragen zum Bauvorhaben:

 

1.    Kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich

 

a)     des Vortretens des vorliegenden Bauvorhabens aus dem Baufenster und

b)     der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Geschossigkeit

 

gem. § 31 Abs. 2 BauGB befreit werden?

 

2.    Können Abweichungen i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 von den örtlichen Bauvorschriften im Hinblick auf

 

a)     die festgesetzte Dachform und

b)     die Dachneigung

 

zugelassen werden?

 

Das Bauvorhaben befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 24 „Am Strippenweg“ (Gillrath) der Stadt Geilenkirchen.

 

2.         Befreiungen

 

2.1  Zu Frage 1. a): Vortreten aus dem Baufenster

 

Der maßgebliche Bebauungsplan setzt auf dem Grundstück des Bauvorhabens ein Baufenster, bestehend aus Baulinien zur Straße hin und zur nordöstlichen Grundstücksgrenze sowie Baugrenzen hin zu den südöstlichen und südwestlichen Grundstücksgrenzen, fest (siehe Auszug aus dem Bebauungsplan).

Das Bauvorhaben der Antragsteller soll nicht auf der Baulinie stehen und aus dem Baufenster, entsprechend der Darstellungen im beigefügten Lageplan, hervorrücken. Das Vorhaben verstößt somit grundsätzlich gegen die Festsetzung des Bebauungsplans.

 

Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

 

1.      Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder

 

2.      die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder

 

3.      die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde

 

und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

 

Grundzüge der Planung

 

Der Leitgedanke des Planers, einzelne und unterschiedlich große Baufenster, die mal mehr, mal weniger von der Straße zurückspringen, ist angesichts des städtebaulichen Bildes und heutiger Planungen nicht nachvollziehbar. Eine schlüssige Begründung für diese Anordnung ist nicht vorhanden. Weshalb vorliegend Baulinien für unterschiedlich tiefe Gebäudevorderkanten festgesetzt wurden, ist ebenfalls nicht verständlich. Möglicherweise wollte man seinerzeit eine verspielte Auflockerung des Baugebietes in Richtung freie Feldflur erreichen.

Auch im Hinblick auf die bereits vorhandene Bebauung würde die Einhaltung des Baufensters wenig Sinn machen. Betrachtet man die, bereits vor Aufstellung des maßgeblichen Bebauungsplans, vorhandene Bebauung, so ist nahezu ausgeschlossen, dass diese jemals die Festsetzung des Bebauungsplans einhalten wird. Zum Teil ist allerdings auch anzumerken, dass auch Bebauungen, die nach Aufstellung des B-Plans errichtet wurden, die Festsetzung über das Baufenster und vor allem die Baulinie nicht einhalten.

 

Die Grundzüge der Planung werden deshalb nicht berührt.

 

Städtebauliche Vertretbarkeit:

 

Eine Beeinträchtigung städtebaulicher Belange ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere würden die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse nicht berührt, die Gestaltung des Ortsbildes eher verbessert als bei zurückspringender Bebauung. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der örtlichen Erkenntnisse ist das Abweichen vom festgesetzten Baufenster und von der Baulinie städtebaulich vertretbar.

 

Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen:

Vorliegend sind die Interessen der Nachbarn zu würdigen. Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen ist nicht ersichtlich.

 

Zwischenergebnis:

 

Die Voraussetzungen für diese Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 24 liegen vor. Von dem festgesetzten Baufenster kann befreit werden.

 

2.2  Zu Frage 1. b): Überschreitung der Geschossigkeit

 

Der maßgebliche Bebauungsplan setzt für den Bereich des geplanten Bauvorhabens eine Anzahl der Vollgeschosse von zwingend einem Geschoss fest. Die Antragsteller planen den Bau eines zweigeschossigen Wohngebäudes, sodass vorliegend grundsätzlich gegen diese Festsetzung verstoßen wird.

 

Von der Festsetzung des Bebauungsplans könnte nach selbiger Vorschrift, wie bereits oben unter 2.1 aufgeführt, befreit werden.

 

Grundzüge der Planung

 

Gemäß der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 24 sollte seinerzeit durch die Aufstellung eine geordnete städtebauliche Entwicklung gesichert werden. Der maßgebliche Bebauungsplan wurde im Jahre 1968 beschlossen. Zwischenzeitlich hat sich das Baugebiet, das im Bebauungsplan für den Bereich des Bauvorhabens als Dorfgebiet festgesetzt wurde, tatsächlich und demnach faktisch zu einem Wohngebiet entwickelt. Darüber hinaus ist es höchst unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich, dass sich in Zukunft ein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb hier ansiedelt, zumal das Grundstück und das festgesetzte Baufenster in der heutigen Zeit hierfür deutlich zu klein sind. Die Fläche von 579 m² ist gerade im ländlichen Raum, wie das Stadtgebiet Geilenkirchen es ist, für die Bebauung mit einem freistehenden Einfamilienhaus typisch.

 

Im Rahmen einer Ortsbesichtigung wurde festgestellt, dass die Gebäude Karl-Arnold-Straße 139 und Strippenweg 1 in nächster Nähe zum Grundstück des Bauvorhabens 2-geschossig sind und ein steiles Walmdach besitzen (siehe beigefügte Fotos). Im weiteren Verlauf des Strippenwegs steigt darüber hinaus das Gelände in nördlicher Richtung an. Hier sind Gebäude vorhanden, die faktisch und für den objektiven Betrachter, aufgrund der Hanglage und der aus der Geländeoberfläche hervorgehobenen Kellergeschosse, wie 2-geschossige Gebäude wirken.

 

Im Anbetracht dieser tatsächlichen Gegebenheiten in nächster Nähe zum Grundstück des Bauvorhabens wird durch die zweigeschossige Ausführung des Gebäudes ein deutlich harmonischeres und geordneteres Erscheinungsbild der Gebäude erzeugt (siehe auch Anlage 2 zum Antrag auf Befreiung). Ein Erfordernis für eine zwingende eingeschossige Bebauung ist nicht notwendig. Eine tatsächliche Gegebenheit, die die Notwenigkeit einer solchen Festsetzung begründet, erschließt sich nicht. Die Grundzüge der Planung werden durch die tatsächliche Wirkung und somit durch die prägende Gegend nicht berührt.

 

Städtebauliche Vertretbarkeit / Nicht beabsichtigte Härte:

 

Eine Beeinträchtigung städtebaulicher Belange ist hinsichtlich der zweigeschossigen Ausführung des Gebäudes nicht erkennbar.

Vielmehr werden durch den größeren Raum im Obergeschoss die Wohnbedürfnisse der antragstellenden Familie berücksichtigt. Die Familie besteht derzeit aus vier Personen, eine Vergrößerung der Familie durch ein drittes Kind ist geplant. Ein größerer Wohnraum ist demzufolge nach erforderlich.

 

Außerdem würde, durch die bestehenden zum Teil 2-geschossigen Gebäude in nächster Nähe, die Durchführung des Bebauungsplans zu einer nicht beabsichtigten Härte, im Hinblick auf die städtebauliche Gestaltung und das Gesamtbild, führen.

 

Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen:

Vorliegend sind die Interessen der Nachbarn zu würdigen. Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen ist nicht ersichtlich.

Aus dem B-Plan bzw. der zugehörigen Begründung geht nicht hervor, dass diese Festsetzung den Grundstückseigentümern oder einem konkreten Grundstückseigentümer, eine nachbarschützende Wirkung zuspricht. Die Besonnung, Belichtung und Belüftung der Nachbargebäude sind nach wie vor gewährleistet; der Sozialabstand ist größer als erforderlich eingehalten. Zudem fügt sich das Gebäude in die nähere Umgebung ein.

 

Zwischenergebnis:

 

Die Voraussetzungen für diese Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 24 liegen vor. Von der festgesetzten Anzahl der Vollgeschosse von zwingend einem Vollgeschoss kann befreit werden.

 

3.         Abweichungen

 

Über Abweichungen nach § 69 BauO NRW 2018 entscheidet die Untere Bauaufsichtsbehörde, in diesem Fall die Stadtverwaltung. Um ein umfassendes Bild zu geben, sind die maßgeblichen Gedanken hierzu nachfolgend in die Sitzungsvorlage aufgenommen.

 

3.1  Zu Frage 2. a): Änderung der Dachform

 

Der maßgebliche Bebauungsplan beinhaltet eine örtliche Bauvorschrift über die Dachform. Danach sind nur Satteldächer zulässig. Das Bauvorhaben soll ein Walmdach erhalten. Es widerspricht somit grundsätzlich dieser örtlichen Bauvorschrift.

 

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 u. 2 BauO NRW 2018 kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen der BauO NRW 2018 und aufgrund der BauO NRW 2018 erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Absatz 1 und 3 BauO NRW 2018 vereinbar ist. Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 sind Abweichungen zuzulassen, wenn sie der Verwirklichung von Vorhaben zur Einsparung von Wasser oder Energie oder der Schaffung oder Erneuerung von Wohnraum dienen.

 

Zweck der jeweiligen Vorschrift:

 

Der maßgebliche B-Plan wurde gem. Begründung zum B-Plan seinerzeit aufgestellt, um – wie bereits oben erwähnt – eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu sichern. Eine konkrete Begründung, weshalb nur Satteldächer zulässig sind, geht aus den vorliegenden Unterlagen zum B-Plan und aus dem B-Plan nicht hervor.

 

Betrachtet man den Einmündungsbereich, Karl-Arnold-Straße / Strippenweg, und den weiteren Verlauf des Strippenwegs, so sind Gebäude mit Walmdächern in der Nähe zum Baugrundstück präsent (z.B. Gebäude Karl-Arnold-Straße 139, Strippenweg 1, 12 u. 12 a, 16; siehe auch beigefügte Bilder). Auch der vor kurzem errichtete Neubau an der von-Hardenberg-Straße 7 besitzt kein Satteldach. Aufgrund dieser Feststellungen, ist die städtebauliche Ordnung bereits beeinträchtigt. Ein einheitliches Bild mit nur Satteldächern im Plangebiet ist in Zukunft nahezu ausgeschlossen.

 

Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen

 

Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Belange durch die abweichende Dachform ist nicht ersichtlich. Für den Fall, dass man entsprechend der Festsetzung ein Satteldach planen würde und die Giebelfläche in Richtung der angrenzenden Nachbargrundstücke orientieren würde, so würden die Belange der Nachbarn eher berührt.

 

Zwischenergebnis:

 

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Abweichung von der örtlichen Bauvorschrift – hinsichtlich der Dachform - liegen vor. Die Abweichung kann erteilt werden.

 

 

3.2  Zu Frage 2. b): Unterschreitung der Dachneigung

 

Der in Rede stehende Bebauungsplan beinhaltet weiterhin auch eine örtliche Bauvorschrift über die Dachneigung von Gebäuden. In diesem Fall sind ausschließlich Dächer mit einer Dachneigung von 45° - 48° zulässig. Das Wohnhaus der Antragsteller soll nach den zum Antrag beigefügten Bauvorlagen mit einer Dachneigung von 25° errichtet werden. Deshalb liegt grundsätzlich ein Verstoß gegen diese Vorschrift vor.

 

Eine Abweichung kann nach selbiger Rechtsgrundlage, wie unter 3.1 zitiert, zugelassen werden.

 

Zweck der jeweiligen Vorschrift:

 

Eine konkrete Begründung für den Zweck, eine Dachneigung von 45° - 48° festzusetzten, ist nicht erkennbar. Im Anbetracht der vorhandenen Bebauung ist allerdings festzustellen, dass bereits offensichtlich Gebäude mit geringer Dachneigung bestehen. Die tatsächlichen Verhältnisse haben sich derart vom Planwillen geändert, dass in Zukunft nicht mehr damit zu rechnen ist, dass diese Festsetzung im Gebiet durchgesetzt wird.

 

Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen

 

Eine Berührung nachbarlicher Belange ist durch die Errichtung eines Walmdaches mit einer Neigung von 25° nicht gegeben.

 

Zwischenergebnis:

 

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Abweichung von der örtlichen Bauvorschrift - hinsichtlich der Dachneigung - liegen vor. Die Abweichung kann erteilt werden.

 

4.         Gesamtergebnis

 

Die Voraussetzungen für die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 24 hinsichtlich des Vortretens des vorliegenden Bauvorhabens aus dem Baufenster und der Überschreitung der im Bebauungsplan zwingend festgesetzten Geschossigkeit liegen vor. Ebenso liegen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Abweichungen von den örtlichen Bauvorschriften im Hinblick auf die Änderung der Dachform und die Unterschreitung der Dachneigung vor. Von den vorgenannten Festsetzungen kann deshalb befreit werden; die vorgenannten Abweichungen können zugelassen werden.


Anlagen: