Sachverhalt:
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, den Tagesordnungspunkt auf die Tagesordnung zu setzen. Der Antrag ist dieser Vorlage als Anlage beigefügt.
I.
Anfang des Jahres 2020 wurden bei den routinemäßigen
Rohwasseruntersuchungen im Verbandswasserwerk Gangelt erstmalig Belastungen mit
PFAS (englische Abkürzung für Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) im
Grundwasser festgestellt. Das Vorhandensein von PFAS-Verbindungen im Rohwasser
wird durch das Verbandswasserwerk routinemäßig seit 2016 untersucht.
PFAS (je nach Stoffgruppe
auch unter der Bezeichnung PFC oder PFT geführt) sind synthetisch hergestellte
organische Stoffe, die in der Natur nicht vorkommen und die biologisch nicht
abbaubar sind. Diese Stoffgruppe umfasst mehrere tausend verschiedene
Einzelsubstanzen. Wegen ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden
Eigenschaften finden sie weltweit Anwendung in einer Vielzahl von Produkten wie
Löschmittel, Netzmittel Galvanik, Papierbeschichtungen, Wachse/Schmiermittel
(z. B. Skiwachse), Baustoffen (z. B. Wetterschutzfarben und -lacke zum Schutz
vor Verschmutzung von Häuserfassaden), aber auch Hautcremes/Kosmetika,
Lebensmittelverpackungen, Outdoorbekleidungen u.v.m. PFAS können auf
verschiedenen Wegen in die Umwelt gelangen und sind mittlerweile überall in der
Umwelt, d. h. in Böden, Wasser, Luft, Tieren und Menschen
nachweisbar. PFAS sind als Schadstoffgruppe noch nicht abschließend
erforscht. Infolgedessen gibt es bislang keine festgeschriebenen Grenzwerte,
weder in der Trinkwasserverordnung noch in der Bundes-Bodenschutz- und
Altlastenverordnung.
Weitere Infos zur Herkunft und Wirkung der Stoffe ergeben sich
aus der beigefügten FAQ-Liste (Quelle: Serviceportal des Kreises Heinsberg).
II.
Als Sofortmaßnahme nach der erstmaligen Feststellung von PFAS
wurde der Förderbrunnen mit der höchsten PFAS-Konzentration außer Betrieb
genommen. In der Folgezeit konnte dieser nach dem Einbau entsprechender
Aktivkohlefilter wieder in Betrieb genommen werden. Dieser Förderbrunnen wird aktuell nur noch kurzzeitig bei
Hochlastphasen genutzt, um die Standzeiten der Aktivkohlefilter nicht unnötig
zu verkürzen. Die Qualität des Trinkwassers war und ist zu jeder Zeit unbedenklich
gewesen.
Würde man die Werte der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie vom
16.12.2020 zugrunde legen, wären im Rohwasser Grenzwerte in Bezug auf die
PFAS-Belastung erreicht bzw. überschritten. Diese Richtlinie ist am 12.01.2021
in Kraft getreten, bisher aber noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden.
Hierzu ist noch eine umfassende Novelle der deutschen Trinkwasserverordnung
unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums erforderlich. Die seitens
des Verbandswasserwerks Gangelt ergriffenen Maßnahmen haben sich jedoch von
Anfang an an den zukünftig zu erwartenden Grenzwerten orientiert. Diese
Grenzwerte wurden und werden eingehalten, sodass die Qualität der
Trinkwasserversorgung durch das Verbandswasserwerk Gangelt zu keinem Zeitpunkt
gefährdet war.
III.
Das Flughafengelände steht im Eigentum der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben. Nutzer des Standorts ist das NATO-Headquarter
„NATO-Flugplatz Geilenkirchen". Verwaltet wird das Gelände vom
Bundeswehrdienstleistungszentrum in Aachen, welches auch für die dortige
Altlastenbearbeitung zuständig ist. Das Amt für Umwelt und Verkehrsplanung des
Kreises Heinsberg ist als zuständige untere Bodenschutz- und Wasserbehörde
beteiligt.
Die Ermittlung der Schadensursache, d. h. aus welchem räumlichen
Bereich der PFAS-Eintrag stammen könnte, erfolgte und erfolgt in Zusammenarbeit
zwischen der Kreisverwaltung Heinsberg, der Verbandswasserwerk Gangelt GmbH,
der Bundeswehrverwaltung sowie der NATO am Flugplatz Teveren. Die Fachbehörden
des Landes und das Umweltministerium sind ebenfalls eingebunden. Der erste
Verdacht, dass der Eintrag aus dem Bereich des Flugplatzes stammen könnte,
ergab sich aufgrund der Strömungsrichtung des Grundwassers und der gegebenen
hydrogeologischen Situation sehr schnell.
Die Gesamtfläche des NATO-Flugplatzes beträgt ca. 620 ha. Dies
entspricht ungefähr der Größe von 930 Fußballfeldern. Es wurde für diese Fläche
zunächst eine historische Recherche durchgeführt, um potentielle
Belastungsstandorte zu ermitteln. Diese wurden dann durch Bohrungen, Probenahme
und Analytik vor Ort sowohl in der Fläche als auch in der Tiefe näher
untersucht. Die vor Ort gegebene komplexe geohydrologische Situation wird durch
hinzugezogene Fachleute untersucht und bewertet. Grundsätzlich ist die
Fließrichtung des Grundwassers vom Flugplatz kommend nach Norden gerichtet.
Somit liegen die Ortslagen Stahe und Niederbusch unmittelbar im
Grundwasserabstrom (vgl. beigefügten Lageplan).
Außerhalb der militärischen Liegenschaft wurden die
Untersuchungen durch den Kreis Heinsberg durchgeführt. Hierüber wurde die
Bevölkerung in den betroffenen Gebieten Niederbusch, Stahe und im westlichen
Bereich Gillrath im April 2021 ausführlich durch
Hauswurfsendungen informiert und Hausbrunnen zur Probenahme ermittelt.
Anschließend mussten finanzielle Mittel generiert und Ausschreibungsverfahren
für die umfangreichen Untersuchungen durchgeführt werden. Die Verifizierung der
Untersuchungsergebnisse erfolgte zudem in insgesamt drei Kampagnen unter
Beteiligung der Bewohner von Stahe, Niederbusch und Gillrath.
Auch
auf dem Stadtgebiet Geilenkirchen in Gillrath wurden Brunnenproben gezogen, die
die Werte im Bereich PFAS jedoch nicht überschritten haben.
Die Schadensermittlung hat den Verdacht verifiziert, dass die
PFAS-Belastungen des Grundwassers vom NATO-Flughafen ausgehen. Als Auslöser
wurde u. a. ein ehemaliges Feuerlöschübungsbecken vermutet. Dieser Verdacht
wurde mittlerweile durch weitere Boden- und Grundwasseruntersuchungen
bestätigt. An diesem Feuerlöschübungsbecken werden zurzeit Sanierungsbrunnen
errichtet, die das abströmende Grundwasser in diesem Bereich mittels
Aktivkohleanlage reinigen. Die Fertigstellung der Sanierungsbrunnen ist für
Ende 2023 avisiert.
Die mit der Untersuchung beauftragten Sachverständigen ermitteln
derzeit weitere Daten. Es steht derzeit auch die Aussage im Raum, dass über
weitere Flächen im Bereich des NATO-Geländes Einträge von PFAS erfolgt sein
könnten. Nach Auswertung der Ergebnisse aller Untersuchungsphasen wird die
weitere Sanierungsplanung beauftragt werden. Diese Sanierungsschritte können
zeitlich noch nicht vorhergesagt werden. Aktuell sind alle erforderlichen
Maßnahmen eingeleitet worden, um eine Gefahr für das Wasser und den Menschen
abzuwehren.
IV.
Die vorgefundenen
Belastungen im Grundwasser in Stahe und Niederbusch führten seitens des Kreises
Heinsberg als Unterer Wasserbehörde zu der Entscheidung, hier in Bezug auf die
privaten Brunnenanlagen eine Untersagung der erlaubnisfreien Benutzung von Grundwasser
zum 01. April 2023 zu erlassen.
Aufgrund der im Rahmen von
Beprobungen festgestellten Überschreitungen des zukünftigen
Trinkwassergrenzwertes für die Summe PFAS-20 von 0,1 µg/l haben sich die
Ergebnisse verifiziert und das Grundwasser – als unaufbereitetes Rohwasser -
ist als belastet einzustufen. Es ist daher als Trink- oder Tränkewasser nicht
geeignet. Als Brauchwasser, z. B. Beregnungswasser für Nutzpflanzen, sollte es
ebenfalls nicht genutzt werden, da zurzeit nicht genügend Untersuchungen zur Aufnahme
von PFAS in Nutzpflanzen vorliegen und somit keine abschließende
humantoxikologische Einschätzung über die Qualität der Lebensmittel abgegeben
werden kann. Aus Vorsorgegründen wurden daher der Verzehr von Nutzpflanzen
sowie ein weiteres Bewässern der Pflanzen (Nutz- und Zierpflanzen) in dem durch
die Allgemeinverfügung festgelegten Bereich unterbunden.
Die entsprechende Allgemeinverfügung ist dieser
Vorlage als Anlage beigefügt.
Die seinerzeit im Rahmen der 2. Kampagne beprobten Brunnen in
der Ortslage Gillrath zeigten keine relevanten Belastungen. Daher ist dieser
Bereich auch nicht von der Allgemeinverfügung des Kreises betroffen.
Die ebenfalls im Jahr 2021
mehrfach beprobten landwirtschaftlichen Beregnungsbrunnen nördlich der
Ortslagen zeigten nur verschwindend geringe Belastungen, welche ebenfalls keine
Maßnahmen begründeten.
Zur weiteren Verifizierung der Analyseergebnisse wurden seitens
des Kreises Heinsberg im März 2023 erneut entsprechende Brunnen beprobt. Die
Ergebnisse der dritten Kampagne bestätigen die Werte der ersten und zweiten
Kampagne.
V.
Nach diversen Besprechungen zwischen Vertretern des
Verbandswasserwerks Gangelt, der NATO, der Bezirksregierung Köln, dem Kreis
Heinsberg sowie der Gemeinde Gangelt und der Stadt Geilenkirchen wurde der
Schaden offiziell gegenüber der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als
zuständige Schadensregulierungsstelle des Bundes in Koblenz angezeigt und
Schadensersatzansprüche dem Grunde nach geltend gemacht. Seitens der BImA wurde
daraufhin die Anerkennung des Schadens mittels einer sog. Entschließung
abgelehnt. Da hierdurch eine Frist zur gerichtlichen Geltendmachung in Gang
gesetzt wurde, musste seitens des Verbandswasserwerks ein gerichtliches
Verfahren beim Landgericht Koblenz als örtlich zuständigem Gericht eingeleitet
werden. Dieses Verfahren ruht derzeit, da beide Parteien grundsätzlich
weiterhin zu einer außergerichtlichen Einigung in Bezug auf die Regulierung des
dem Verbandswasserwerk entstandenen Schadens bereit sind.
Am 12.05.2021 hat der Kreis
Heinsberg Klage beim Landgericht Aachen gegen die Schadensregulierungsstelle
des Bundes erhoben. Es wurde beantragt, festzustellen, dass die Beklagte für
die NATO-Entsendestaaten, denen die Leistung obliegt, verpflichtet ist, dem
Kreis Entschädigung für Maßnahmen, Aufwendungen und Schäden, die diesem
aufgrund der vom NATO-Headquarter ausgehenden PFAS-Belastungen des Bodens und
Grundwassers entstehen, zu leisten. Mit Urteil vom 12.07.2022 hat das
Landgericht dem Antrag des Kreises Heinsberg stattgegeben.
Gegen dieses Urteil wurde
inzwischen Berufung eingelegt.